Donnerstag, 11. April 2019
Auf und ab
Freundliche Menschen luden mich auf ein Eis ein. Ich wählte Zitrone, in der Hoffnung, dass ich vielleicht einen Hauch des Aromas erschmecken kann. Vergeblich. Es schmeckte einfach nur kalt und süß.

Meinen Zustand hatte ich zwar kurz erwähnt, aber der abgrundtiefen Verzweiflung, die mich in diesem Augenblick ergriff, konnte ich mir nicht anmerken lassen, dazu kenne ich diese Leute einfach nicht gut genug. Ich gab mich also gelassen und tapfer - und hätte heulen können dabei.

Essen einkaufen. Lästige Pflicht. Mutlos griff ich in einen Bund frische Pfefferminze, klaute mir ein Blatt - und konnte es ein wenig riechen. Obwohl die Sträußchen schon reichlich angewelkt waren, kaufte ich eines und kochte mir daheim einen Pfefferminztee. Zart und fein und kaum zu erahnen war der Geschmack, aber was für eine Ermutigung!

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Es gibt Fachleute in Deutschland!
„Willkommen im interdisziplinären Zentrum für Riechen und Schmecken“, begrüßt mich die Homepage (https://www.uniklinikum-dresden.de/de/das-klinikum/kliniken-polikliniken-institute/hno/forschung/interdisziplinaeres-zentrum-fuer-riechen-und-schmecken). Ich raffe all meinen Mut zusammen und wähle die auf der Seite angegebene Telefonnummer. Nachdem ich meine Lage kurz erklärt habe, erhalte ich die Telefonnummer eines Experten, der nur eine Stunde von mir entfernt praktiziert.

Leider ist der gute Doktor bis nach Ostern im Urlaub. Ich durfte aber meine Telefonnummer angeben, so dass er mich zurückrufen kann, wenn er wieder da ist.

Einfach nur das Gefühl zu haben, dass sich ein Fachmann meines Falls annehmen wird, ist für mich ein Licht am Horizont.

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Mittwoch, 10. April 2019
Geduld, Geduld!
Das Internet ist voller Artikel über Anosmie, einige Erfahrungsberichte von Betroffenen finden sich dort auch.

Eines wurde mir beim Lesen rasch klar: Diese Krankheit dauert. Ich muss in Monaten, vielleicht sogar Jahren denken, nicht in Tagen.
Anfangs hatte ich mir eine rasche Besserung erhofft. Das kann ich wohl vergessen.

Mein seit Tagen mehr oder weniger unveränderter Zustand belastet mich sehr. Es liegt eine Hoffnungslosigkeit darin, jeden Morgen aufzuwachen und zu spüren, dass ich immer noch nichts riechen und schmecken kann. Noch dazu musste ich bei meiner Recherche lernen, dass die Besserung, wenn sie denn eintritt, selten linear verläuft, sondern meist in sprunghaften Schwankungen, dass man also lang nicht weiß, ob sich wirklich etwas positiv verändert hat.

Ich komme mir vor, als sei ich in einer Endlosschleife gefangen. Das lähmt mich sehr. Ich habe nächste Woche ein sehr anspruchsvolles Arbeitsprojekt, vor dem ich sehr nervös bin. Ich müsste alle Kraft in die Vorbereitung stecken. Doch ich fühle mich wie gelähmt …

Es hilft mir allerdings, das alles hier aufzuschreiben.

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Seelenleid
Das Schlimmste am Verlust des Geruchs- und Geschmackssinn ist das damit verbundene seelische Leid.
Ich glaube, dass es sich für Nichtbetroffene in der Theorie kaum vorstellen lässt, wie schrecklich und tiefgreifend diese Erfahrung ist (ich hätte es mir ja selbst nicht ausmalen können). Ich komme mir vor, als säße ich ganz allein unter einer Glasglocke, als hätte mich die Welt ausgestoßen und erlaubte mir keinen Zugang mehr zu ihrer Fülle und Schönheit.

Wohlmeinende Menschen versuchen, mich zu trösten, indem sie mir sagen, ich werde mich schon daran gewöhnen, es gäbe ja viel Schlimmeres, und vielleicht käme mein Riech- und Schmeckvermögen ja zurück.

Das alles ist sicher gut gemeint, tut aber sehr weh. Ich weiß selbst, dass es viel ernstere Leiden gibt. Aber dieses ist das meinige, und es macht mir zu schaffen, es quält mich in jeder wachen Minute.

Ein Telefongespräch mit einer lieben Freundin (die leider über tausend Kilometer entfernt lebt), half mir sehr. Sie riet mir, meinem Schmerz Raum zu geben, ihn aber nicht das Ruder übernehmen zu lassen. Mich ganz bewusst und sehr konzentriert immer wieder denjenigen Bereichen meiner Wahrnehmung zuzuwenden, in denen ich KEINE Einschränkung habe: Den Vögeln zu lauschen. Die Schönheit einer Blüte zu betrachten. Und die Hoffnung wachzuhalten.

Als ich vor lauter Traurigkeit nicht schlafen konnte, sah ich auf Netflix den Dokumentarfilm "Heal", in dem es um den geistigen Aspekt der Gesundheit geht. Einen wichtigen Punkt habe ich daraus mitgenommen: Vertraue nicht irgendwelchen Prognosen! Selbst grimmige Statistiken belegen stattgefundenen Heilungen. Und wenn es nur ein Prozent der Betroffenen ist - warum solltest du nicht dazugehören?

Nun bin ich leider von meiner seelischen Grundstimmung her eine in der Wolle gefärbte Pessimistin; Angst und Depression gehören von Kindheit an zu meinem Leben. Die jetzige Situation ist also eine doppelte Herausforderung.

Ich vertiefte mich in die Erkenntnis aus dem Film, und plötzlich wurde mir klar: es ist ja MEIN Körper! Mein Leben lang habe ich ihn immer irgendwie als Gegner wahrgenommen, als Lieferant unangenehmer Überraschungen (ich leide seit Jahren an einer Autoimmunkrankheit), als unberechenbaren Träger potentieller Gefahren. Wenn die innere Haltung tatsächlich direkten Einfluss auf das leibliche Befinden hat, was würde geschehen, wenn ich meinem Körper zutraue, sich zu regenerieren?

Dazu gehört natürlich auch die Seele. Ich überrasche mich immer wieder dabei, mir selbst mit Hass, Kritik und Druck zu begegnen. "Das sind bei dir uralte Muster, die wirst du nicht von heute auf morgen wegbekommen", erklärte die beste Freundin, "aber wenn du sie bemerkst, kannst du sie als Signal nehmen, trotzdem liebevoll mit dir zu sein."

Es ist eine harte Schule, nicht nur mit der körperlichen Einschränkung, sondern auch mit den eigenen psychischen Abgründen konfrontiert zu sein. Aber die Alternative wäre, in einer tiefen Depression zu versinken, und das habe ich schon mal erlebt - einmal reicht! Darum werde ich diesmal so gut ich kann den anderen Weg einschlagen: den der Selbstakzeptanz und des liebevollen Umgangs mit mir.
Puh, das ist eine ziemlich große Aufgabe, das merke ich bereits nach wenigen Tagen!

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Mittwoch, 10. April 2019
Geruchstraining
Ich weiß, ich weiß, man soll seine Krankheiten nicht googlen, aber was blieb mir anderes übrig, nach dem eher unbefriedigenden Arztbesuch? Schon bald stieß ich auf das Thema Geruchstraining, das mit speziellen Duftstiften, aber auch mit ganz normalen ätherischen Ölen gemacht werden kann.

Also auf in den Naturkosmetikladen!

An der "Duftbar" mit Ölen stellte ich frustriert fest, dass ich die meisten nicht oder kaum mehr erschnuppern kann, egal wie stark sie sind.

Das klassische Dufttraining empfielt die Sorten Rose, Zitrone, Nelke und Eukalyptus, dazu wählte ich noch Tonkabohne und Wintergrün, weil ich beides ein klein wenig wahrnehmen konnte.

Mindestens zweimal täglich, so heißt es, soll man an diesen Ölen ausgiebig schnuppern.

Schon nach ein paar Tagen merkte ich, dass meine Duftwahrnehmung etwas schwankt, dass ich also nicht alles an jedem Tag gleich gut riechen kann. "Gut" ist eh relativ, ich rede hier von einem Hauch der Duftwahrnehmung, und auch nur dann, wenn ich mir die Fläschchen mit den superstarken Ölen direkt unter die Nase halte!

Ob es durch das Kortisonspray kommt, weiß ich nicht, aber meine Nase ist derzeit ungewöhnlich frei, und besonders das Nelkenöl konnte ich nach einiger Zeit ziemlich gut wahrnehmen. Eine wirklich signifikante Verbesserung ergab sich bis jetzt jedoch nicht. Trotzdem setze ich die Übung mehrmals täglich fort, denn es geht offenbar darum, dass sich die Riechnerven wieder neu verschalten, wenn (falls!) sich die Zellen in der Nase regenerieren, und dazu braucht es natürlich Anregungen durch Geruchsreize.

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Clementine
Als ich sie aus dem Obstkorb nahm, fühlte sie sich an wie ein Ball aus Plastik. Ich hielt sie an die Nase. Nichts.

Doch als ich die Fingernägel in ihre Schale grub, explodierte das Aroma. Ich riss ein Stück der Schale ab und spritzte das ätherische Öl direkt an meine Nasenlöcher.

Die Clementine ist der einzige Duft, denn ich zumindest aus allernächster Nähe noch in derselben runden Fülle wahrnehme wie vor meiner Erkrankung. (Schmecken kann ich das Aroma der Frucht leider nicht; wie der Apfel ist sie einfach nur süß und etwas säuerlich.)

Die Idee für dieses Blog war mir schon seit einigen Tagen im Kopf herumgegangen. Nun hatte ich auch einen Namen dafür.

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Wie alles begann
Es war ein ganz banaler Infekt, vielleicht etwas heftiger als das, was mich sonst häufig nach Ende des Winters ereilt hat. Auf bellenden Husten folgte ein Tag mit furchtbarem Fließschnupfen und Niesanfällen. Schon bald war die Nase wieder frei. Aber ich roch nichts mehr. Erst fand ich es noch lustig und schob es auf die Folgen der Erkrankung, dass ich eine mir dargereichte Fischsuppe als Hühnersuppe identifizierte.
Doch schon bald merkte ich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Mein erster Weg führte mich zur Ärztin meines Vertrauens, die sich zum Glück auch mit Akupunktur auskennt. Sie setzte Nadeln, die einen Hauch Duft zurückbrachten (leider nur für eine halbe Stunde) und empfahl dann den Besuch beim Spezialisten.

Frohgemut machte ich mich also auf zum HNO-Arzt, der diverse Geräte in meine Nase steckte, mir ein Kortisonspray in die Hand drückte und sagte: "Wir sehen uns in fünf Wochen. Manchmal normalisiert sich das wieder, manchmal bleibt es auch, wie es ist."

Na, dankeschön.

Nach einer angenehm ablenkenden Arbeitswoche holte mich am Wochenende die grausame Wirklichkeit ein.

Meine Welt war grau geworden.

Ich hätte mir niemals vorstellen können, wie sehr die Wahrnehmung von Geruch und Geschmack bestimmt wird. Dazu gehört auch, sich selbst zu schmecken und zu riechen! Ich begann, mich wie besessen zu waschen und die Wäsche zu wechseln. Das aluminiumfreie Naturdeo wanderte in den Schrank, stattdessen benutze ich jetzt ein Normaldeo, dessen Duft ich sonst als unangenehm scharf und künstlich empfand. Jetzt entpuppte es sich als das einzige meiner Kosmetikprodukte, von dem zumindest ein Hauch von Duftwahrnehmung in mein geplagtes Gehirn vordringt. Alles andere (Seifen, Shampoos, Gesicht- und Hautcremes) riecht - nach nichts.

Noch viel schlimmer ist es beim Essen. "Eingeschlafene Füße" oder "Pappdeckel" beschreibt das nicht vorhandene Aroma sämtlicher Speisen sehr genau. Das klingt jetzt vielleicht nüchtern oder gar komisch, in Wirklichkeit brach ich in den ersten Tagen bei jedem neuen enttäuschenden Nicht-Geschmacks-Erlebnis in Tränen aus. Tee und Kaffee schmecken für mich wie Spülwasser. Das einzige, was ich schwach wahrnehmen kann, ist der Kümmel im Schwarzbrot - das Brot selbst hat kein Aroma mehr.

Erhalten blieben mir die Wahrnehmungen süß, sauer, salzig und bitter. Das heißt also, von einem Apfel dringen einzig seine Süße und Säure durch. Er könnte aber jede beliebige andere Frucht ähnlicher Konsistenz sein. Von einer Birne könnte ich ihn wohl nicht mehr unterscheiden.

Essen und Trinken ist zu einer höchst lästigen Pflicht geworden. Am liebsten würde ich mich nur noch von Tabletten oder geschmacklosen Pulvern mit Nährstoffen ernähren - die unterschiedlichen Lebensmittel machen mir keine Freude mehr, sondern erinnern mich nur schmerzlich an das, was ich (vielleicht für immer) verloren habe.

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Hallo
Ich bin Clementine, mittelalt und mittelgroß. Nach einem Infekt habe ich meinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Das Ganze nennt sich post-virale Anosmie. Hier schreibe ich auf, wie es sich damit lebt, nicht zuletzt damit andere Betroffene sehen, dass sie nicht allein
sind.

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